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Das Wasserblog / Hydromechanik und ein Paar Socken!

Hydromechanik und ein Paar Socken!

Hallo! Ich bin Alexandra Ripsam und studiere im 6. Semester Bauingenieurwesen mit der Vertiefungsrichtung Wasser und Verkehr.

Unsere Vorlesungen sind – wie bei Euch wahrscheinlich auch – eher theoretisch orientiert, weshalb manchmal der Bezug zur Praxis nicht offensichtlich ist. Besonders in Fächern wie z.B. Hydro­mechanik II stellt man sich doch gelegentlich die Frage, ob es gerade nicht interessanter wäre, endlich mal die Wäsche abzuhängen – versteht mich jetzt nicht falsch, die Vorlesung ist natürlich spannend, eineinhalb Stunden rechnen können allerdings von Zeit zu Zeit auch sehr lang werden.

Corona sei Dank finden wir uns gerade im Online-Semester wieder, was sicherlich niemandem so gut gefällt wie die Präsenz­veranstaltungen. Es öffnet allerdings auch Türen, die einem helfen, in genau solchen Fällen aufmerksam zu bleiben!

Alexandra Ripsam

Also, Throwback zum 25.11.2020, 10:00 Uhr

Es geht los!

Franz Untersteller, Umweltminister von Baden-Würrtemberg, Tobias Fuchs, Vorsitzender des Deutschen Wetterdienstes (DWD), Martin Grambow Vorsitzender der Bund/Länder Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) und Jürgen Reich Mitglied der LAWA streamen eine Konferenz zum Thema Klimawandel.

In meinem Fachbereich ein Thema, welches nicht zu kurz kommen sollte und glücklicherweise auch von unseren Professoren aufgegriffen wird. Prof. Michael Bach war daher bereit, die wertvolle Zeit unserer Hydromechanik-Vorlesung dafür zu opfern, dieses Event live zu verfolgen – Nice, mein Taschenrechner freut sich auf 'ne Pause.

Zugegeben, nach einer Online-Party hört sich das jetzt im ersten Moment auch nicht an. Wir studieren unser Fach aber schließlich nicht ohne Grund und somit sind uns die Themen der Konferenz schon aus einigen Vorlesungen bekannt - Grundinteresse ist also vorhanden! Außerdem betrifft uns der Klimawandel ja schließlich alle, ganz unabhängig von der Fachrichtung.

10:13 Uhr

Jogginhose und ein paar Socken!

Ganz entschlossen jetzt neben dem Livestream meinen Haushalt noch auf Vordermann zu bringen, stehe ich also, ganz a la Onlinevorlesung in meiner Lieblingsjogginghose, vor meinem Wäscheständer mit einem Paar Socken in der Hand.
 

10:18 Uhr

Gefahr für die Trinkwasserversorgung in Stuttgart?

Dasselbe Paar Socken immer noch in meiner Hand! Bundesratsmitglied Franz Untersteller erzählt von einer Muschelart, die das System der Trinkwasser­versorgung für Stuttgart in Gefahr bringt?! Es handelt sich um die Quagga-Muschel, die ihren Ursprung im Schwarzen Meer hat und durch eine umgesiedelte Yacht oder ähnliches in den Bodensee gelangte. Dort vermehrt sie sich aufgrund des wärmeren Wassers durch den Klimawandel rasant und nistet sich in die Rohre der Bodenseetrinkwasserversorgung ein. Die Temperatur ist laut Fuchs des DWD seit 1980 um 1,9°C angestiegen. Die Quagga-Muschel schmälert die Durchflussmenge und erhöht die Rauheit einer Rohrleitung. Es bedarf einer dreistelligen Millionensumme für die Erneuerung des Systems. Das ist nicht das einzige Phänomen das man in den letzten Jahren registriert hat.

Hochwasser in einer Stadt ohne Fluss?

Mit Braunsbach stand 2016 eine Stadt unter Wasser, durch die nicht einmal einen Fluss führt. Wie kann eine Stadt ohne Fluss unter Hochwasser stehen? Grund dafür ist die Kessellage dieser Stadt. Von den umliegenden Hängen ist Wasser sturzflutartig nach unten geschossen und hat die kleine Stadt überflutet - mit dramatischen Folgen!

 

Hitze und Dürre! Abwasser und Hochwasser!

Der DWD hat den dritten Dürresommer in Folge aufgezeichnet. Im Hochschwarzwald führt das bereits jetzt in den Sommermonaten zu einem Wassermangel, der vielen gar nicht bekannt ist. Weiter berichtete Herr Fuchs von Eiskernbohrungen, in denen eine viel höhere als jemals gemessene CO2-Konzentration nachgewiesen wurden.

Eine Tatsache die ich sehr erschreckend finde berichtete Unterstellar: “Der Neckar besteht bei Mühlhausen nur aus Abwasser.“ Bei Niedrigwasser befindet sich ein Anteil von 37% Abwasserbelastung hinter dem Hauptklärwerk in Stuttgart Mühlhausen im Neckar. Das Umweltministerium hat den gesamten Neckar, von seiner Quelle bis zu seiner Mündung in den Rhein, in einen biologisch sowie chemisch schlechten Zustand eingeordnet. Zu viele Staustufen, zu viel Abwasser und zu viele Nährstoffe.

Folgende Prognosen des DWD ließen mich weiter aufmerksam bleiben: Es wird verstärkt Hochwasser­ereignisse geben! Es wurden Szenarien berechnet, in denen ein 100-jährlicher Regen ein Hochwasser am Rhein mit einem Schaden von 6-7 Milliarden Euro zur Folge hat, ganz abgesehen von den Personenschäden. Die starken und seltenen Wetterereignisse werden generell mehr zunehmen. Kurze Starkniederschläge mit einer maximalen Dauer von 6h können überall in Deutschland auftreten. Es wird eine deutliche Umverteilung der jahreszeitlichen Niederschläge geben, das heißt im Winter wird es mehr regnen und im Sommer wird es weniger regnen.

Generell soll es mehr Hitzewellen geben, im Sommer werden Hitzetage (definiert mit T>30°C) immer häufiger. Es wurden Szenarien berechnet, in denen der Klimawandel für Europa jährliche Schäden von 300 Milliarden Euro zur Folge hat. Deswegen ist das Klimaabkommen so wichtig, die Einhaltung der Klimaerwärmung um 2°C würde diese Schäden deutlich verringern (laut Grambow um 130 Milliarden Euro). Aber da der Klimawandel ein globales Problem ist und die Folgen nicht nur in Deutschland auftreten werden, wird es im Winter zu höheren Wassermengen aus der Schweiz kommen, die dort nicht mehr als Schnee zwischengespeichert werden.

Die Frage der Moderatorin an Herrn Fuchs ob die Prognosen aus den Jahren um 2000 herum eingetroffen sind, fand ich spannend. Seine sinngemäße Antwort: „Die Prognosen wurden überschritten, allerdings waren unsere Messgeräte und Messdaten noch nicht so genau wie sie es heute sind. Wir werden immer Detail reichere Antworten geben können.“ Der DWD forscht an Methoden, um schnellere und zeitnähere Prognosen für Wetterereignisse treffen zu können.

Nach diesen vielen nicht gerade positiven Prognosen kann einem ganz schön schwindelig werden.

Alexandra Ripsam

Maßnahmen!

Was wird getan?

Es interessant zu erfahren mit welchen Maßnahmen die Politik auf uns wartet. Auch wenn man das Gefühl hat, die Pandemie beherrscht zur Zeit die Politik gibt, es schon einiges, das getan wurde und einiges das noch getan werden soll:

  • Am Rhein wird gegen das oben genannte Szenario mit teuren Folgen vorgegangen. Es werden 13 Rückhalteräume am Rhein gebaut.
  • Ein weiteres Projekt, von dem Herr Untersteller berichtete, war die Renaturierung der Ems. Nicht nur, dass sich die Fische dort gefreut haben, auch die Anwohner dort haben das Projekt sehr gut angenommen. Gerade zur Zeit der Pandemie hat es viele Anwohner an die Ems verschlagen um dort eine Auszeit ihres Alltags zu finden.
  • Die Politik ist weiterhin fleißig so wie es scheint: Als zugezogene Stuttgaterin hat es mich gefreut zu hören, das Baden-Württemberg als erstes Bundesland einen Beschluss durchgesetzt hat, der besagt, dass auf Neubauten, die nicht als Wohnbebauung gelten, eine Photovoltaikanlage angebracht werden muss.

Herausforderungen!

Trotz der bereits umgesetzen Maßnahmen wartet noch viel Arbeit. Hierbei gibt es noch einige Probleme,für die Lösungen und Kompromisse gefunden werden müssen. Einige dieser Herausforderungen sind:

  • Für Renaturierungen, wie sie an der Ems geschehen sind, fehlt oftmals die Fläche für die Umsetzung. Die Flächenbeschaffung gestaltet sich schwieriger als gedacht. Die Grundstückbesitzer, sehr viele davon aus der Landwirtschaft, wollen ihr Eigentum nicht verkaufen. Aus gutem Grund, denn für viele Bauern ist dieses Land ihre stetige Einkommensquelle.
  • Ein weiteres Problem sehen Reich und Untersteller in der Umsetzung bei den Kommunen. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Länder klappt zwar gut, so Reich, doch der Informationsaustausch zwischen den Kommunen fehlt. Wenn im Norden eine Maßnahme erfolgreich  war oder eine Idee zur Verbesserung der Situation aufgekommen ist, so weiß der Süden noch lange nichts davon und umgekehrt. Außerdem fehlt den kleinen Kommunen das ausgebildete Personal, um Forderungen umzusetzen.
  • Auch der Umgang mit der Öffentlichkeit war ein Thema der Konferenz. Alle Teilnehmer waren sich einig: Das Thema Klimawandel muss noch stärker an die Öffentlichkeit herangetragen werden! Dies könnte durch Kurzfilme und Videoclips passieren. In Kommunen und bei der Bevölkerung spielt das Thema oftmals nur punktuell eine Rolle, nach starken Wetterereignissen zum Beispiel. Der breiten Masse fehlt das Bewusstsein.

Die Politik muss die Daten des Deutschen Wetterdienstes verstehen, eine Strategie entwickeln und Handlungsstrukturen schaffen.

Prof. Martin Grambow

EU-Wasserrahmenrichtlinie

Zum Abschluss des politischen Teils eine Frage aus dem Publikum: „Wieso werden die Werte der Wasserrahmenrichtlinie von 2000 nicht eingehalten?“ Die, wie ich finde sehr diplomatische, sinngemäße Antwort von Grambow: „Die Ziele und Vorstellungen der Wasserrahmenrichtlinie sind damals sehr hoch gesetzt worden. In so kurzer Zeit ist es utopisch zu denken man könnte dieses Ziel in so kurzer Zeit erreichen. Allein in Bayern wurden bereits 1,5 Milliarden Euro umgesetzt, um die damals vereinbarten Werte zu erreichen.

Schwammstadt

Während der Konferenz ließen sich einige Ideen heraushören, wie man dem Klimawandel entgegenwirken kann. Es sollte mehr Grün- und Freiflächen in Städten geben und auch über Dachbegrünung müsse man nachdenken. Wasser wird als wichtige Ressource wahrgenommen die man nicht, wie es derzeitig der Fall ist so schnell wie möglich über die Kanalisation aus der Stadt schaffen sollte. Stattdessen sollte das Regenwasser durch gezielt angelegte Grünflächen, Zisternen und als Hochwasserrückhaltebecken angelegte Plätze in der Stadt zwischenspeichert. Auch ein Thema das angeklungen ist, ist ob man das Straßenbegleitgrün denn tatsächlich mit Trinkwasser bewässern muss oder dann dafür das zwischengespeicherte Niederschlagswasser nutzen sollte. Ein schönes Beispiel wie man solche Themen umsetzen kann ist hierfür die Stadt Kopenhagen. Sie ist der Vorreiter für eine Stadt als Schwammstadt.

11:15 Uhr

Die Socken sind immer noch nicht zusammengelegt!

Unsere Vorlesung wäre regulär vorbei. Meine Socken habe ich bereits nach der lebhaften Erzählung von Franz Untersteller über Quagga-Muscheln Socken sein lassen und mich wieder an meinen Schreibtisch gesetzt. Zwei Ohren hören mehr als eins! Die Vorlesung endete diesmal zwar ohne rauchenden Taschenrechner aber dafür mit einer Menge neuem Input von offizieller Seite, der uns die theoretischen Erkenntnisse der Vorlesung in der Praxis nähergebracht hat und das Thema dadurch für’s nächste mal spannender macht.

11:35 Uhr

This is the end...

Ich komme zu spät zur nächsten Vorlesung bei Professor Norkauer über den Betrieb von Verkehrs­anlagen, allerdings unterlässt er es diesmal, eine spitze Bemerkung zu meiner Verspätung zu machen :D

Es ist super faszinierend zu sehen, dass unser Studium uns auf solche Fälle vorbereitet und der Beruf des Bauingenieurs so vielfältig und lebensnah ist. Gar nicht übel, ziemlich cool eigentlich!

Alexandra Ripsam

Weitere Informationen zum Bauingenieur-Studium an der HFT Stuttgart gibt es hier:

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