Stellen wir uns die Erde vor. Eine blau-grüne Kugel im Weltall, wie sie unermüdlich ihre Kreise dreht. Dann Stopp. Zoom auf Nordamerika, Mexiko, die Halbinsel Yucatán, den gleichnamigen Bundesstaat Yucatán und sein Nachbarstaat Quintana Roo. Dann ganz viel Regenwald. Und schließlich: Cenoten. Herzlich willkommen bei den Toren zum längsten Unterwasserhöhlensystem der Welt.
Der Name Cenote entstammt dem Wort „ts'onot“. Das indigene Volk der Maya verwendete diesen Begriff, um einen für sie heiligen Ort zu beschreiben [Lopez-Maldonado and Berkes (2017)]. Auch heute noch sind sie ein besonderer Anblick: Versickerndes, leicht saures Regenwasser löst einen Teil des Kalksteins, aus dem die Halbinsel Yucatán besteht und bildet Hohlräume. Dabei entsteht ein reicher Formenschatz an Unterwasserhöhlen und Tunneln und manchmal bricht die dünn gewordene Decke einer solchen Höhle ein. Dann bilden sich die schachtartigen Einstürze, die Cenoten genannt werden [Schmitter-Soto et al. (2002)].
Diese Öffnungen befinden sich überall auf der Oberfläche der Halbinsel. Aus der Vogelperspektive wirken sie wie unzusammenhängende Punkte in der Landschaft, aber viele Cenoten sind unterirdisch miteinander verbunden. In Quintana Roo sind Cenoten die Tore zum längsten Unterwasserhöhlensystem der Welt mit einer Gesamtlänge von über 345 km [QRRS (2021), NZZ (2018)]. Dieses System wird „Sac Actun“ genannt, was mit „weiße Höhle“ übersetzt werden kann [Kambesis & Coke (2016)].
Man muss kein Maya sein, um hier unten ehrfürchtig zu werden.
Die Unterwasserhöhle ist Teil eines Karstgrundwasserleiters, der sich über einen Großteil der Halbinsel Yucatán erstreckt, auch auf Mexikos Nachbarstaaten Guatemala und Belize. In diesem Gebiet gibt es wegen der hohen Durchlässigkeit des porösen Karstgesteins so gut wie keine Flüsse, Bäche und andere Oberflächengewässer. Damit wird Grundwasser auf der Halbinsel Yucatán zur einzigen bedeutenden Wasserressource [Lopez-Maldonado et al. (2017), Bauer-Gottwein et al. (2011)]. Das macht diese Ressource besonders schützenswert. Nicht nur aus einer anthropozentrischen Sichtweise heraus – dem Nutzen, den dieses Wasser für die Bevölkerung hat – sondern auch aus einer biozentrischen Sichtweise: als Lebensgrundlage und Lebensraum für die Flora und Fauna dieses Ortes.
Über Cenoten lässt sich vieles sagen. Aber eines sind sie vor allem: wunderschön und faszinierend. Sie waren bedeutender Bestandteil der Kultur der Maya, ihren Mythen und Geschichten und wurden besonders verehrt und geschützt. Diese Seite der Maya-Kultur – die Wertschätzung der natürlichen Ressourcen – wäre heutzutage hilfreich, um die Cenoten besser vor negativen anthropogenen Einflüssen zu schützen. Denn heute ist innerhalb der Bevölkerung nur noch ein geringes Interesse für den Schutz der Cenoten vorhanden. Es geht sogar so weit, dass Cenoten nicht als schön, sondern als Orte von Vandalismus und Kriminalität wahrgenommen werden. Das ist nur einer der Faktoren, warum sich Umweltprobleme auch auf die Cenoten und damit auf das Grundwasser erstrecken. [Lopez-Maldonado & Berkes 2017]
Seit vielen Jahren steigt die Bevölkerungszahl auf der Halbinsel [INEGI (2020)]. Diese Tatsache und ein kräftiges Wirtschaftswachstum, vor allem durch den Tourismussektor, setzen die Grundwasserressourcen unter Druck. Dabei ist die Menge des Wassers das geringere Problem. Das Hauptproblem ist die Qualität, denn die Beschaffenheit des Gesteins sorgt dafür, dass das versickernde Wasser nicht – oder nur gering – gefiltert wird. Damit ist das Grundwasser besonders durch den Eintrag von Schadstoffen gefährdet [Bauer-Gottwein et al. (2011), Derrien et al. (2015)].
Schadstoffe [sind] chemische Elemente oder chemische Verbindungen, die bei ihrer Einwirkung auf Organismen oder Ökosysteme deren Vitalität mindern oder sie zum Absterben bringen.
Schadstoffe werden auf unterschiedlichsten Wegen in das Grundwasser eingetragen. Ein mögliches Beispiel ist Abwasser, denn Teile davon werden unbehandelt in die Cenoten eingeleitet. Damit einher geht die Belastung des Wassers mit hohen Nährstoffkonzentrationen durch Stickstoff und Phosphor, Feststoffen, Pharmazeutika, Hormonen und Inhaltsstoffen von Wasch- und Reinigungsmitteln, sowie Kosmetika [Lopez-Maldonado et al. (2017), Moreno-Pérez et al. (2021)]. Zusätzlich werden Bakterien fäkalen Ursprungs eingetragen, die in manchen Cenoten in hohen Konzentrationen nachgewiesen wurden [Moreno-Pérez et al. (2021), Borbolla-Vazquez et al. (2020)]. Nicht nur häusliches Abwasser, sondern auch Abwässer aus der Industrie und Landwirtschaft gelangen unbehandelt in das Grundwasser - teilweise mit hohen pH-Werten und einem hohen Gehalt an organischen Stoffen [Lopez-Maldonado (2017)]. Des Weiteren werden Pestizide in erhöhten Konzentrationen nachgewiesen, deren Nutzung bereits verboten oder zumindest stark eingeschränkt ist. Diese Verbindungen finden nach und nach ihren Weg in den Grundwasserleiter [Polanco Rodríguez et al. (2015)], Secretariat of the Stockholm Convention (2020)], oft mit einer nicht absehbaren Wirkung auf die aquatischen Ökosysteme, weil Kombinationswirkungen zwischen den verschiedensten Pestiziden nur schwierig zu beurteilen sind [Knillmann et al. (2021)].
In general, there is a relaxed attitude in the regulation of pesticide retailing, and a complete absence of training on pesticide handling by farmers [in Yucatán].
Weitere Belastungen entstehen durch feste Abfälle, die unüberlegt in den Cenoten entsorgt werden, allen voran Plastikmüll [Lopez-Maldonado & Berkes (2017)]. Außerdem dürfen Deponien in dieser langen Aufzählung von Schadstoffquellen nicht vergessen werden [Bauer-Gottwein et al. (2011) , Salazar et al. (2021)]. Diese erreichen schneller ihre Kapazitätsgrenze, je mehr Touristen die Region besuchen – und davon gibt es viele. Bis 2019 verzeichneten Yucatán und Quintana Roo jährlich mehr als elf Millionen Touristen [Secretaría de Fomento Turístico (2019), Statista (2017)]. Ein sehr beliebtes Ausflugsziel sind die Cenoten, und damit ist eine weitere Quelle von Schadstoffen gefunden: Sonnencreme. Darin enthalten sind Inhaltsstoffe, die das aquatische Ökosystem empfindlich schädigen können. Das Problem ist bereits bekannt. Deshalb werden die Besucher einiger Cenoten gebeten, vor dem Schwimmen zu duschen und ganz selten ist die Verwendung von Sonnencreme verboten. Allerdings wird das nur wenig kontrolliert und die Zahl der Besucher ist beträchtlich – Tendenz steigend [Levine (2021), Casas-Beltrán(2021)].
Die Liste möglicher Belastungen ist lang und die bereits genannten, sind nur ein kleiner Auszug. Wer weitersucht, findet also mehr, beispielsweise polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe [León-Borges et al. (2017)]. Sie entstehen entweder durch natürliche Prozesse oder durch anthropogene Emissionen, unter anderem bei der unvollständigen Verbrennung von Biomasse. Einige Verbindungen aus dieser Stoffgruppe sind gleichzeitig schwer abbaubar, reichern sich in Organismen an und sind toxisch für den Menschen [Umweltbundesamt (2021)]. Aus Cenoten entnommene Proben zeigten Konzentrationswerte, die die zugehörigen deutschen Umweltqualitätsnormen für Oberflächengewässer deutlich überschreiten [León-Borges et al. (2017)].
All die Belastungen wären nicht so ein großes Problem, wenn sie lokal bleiben würden. Aber das ist nicht der Fall. Sie verbreiten sich innerhalb des Grundwasserleiters und darüber hinaus [Bauer-Gottwein et al. (2011), Arcega-Cabrera et al. (2015)]. Die persistenten Verbindungen unter ihnen verbleiben innerhalb der Wasserressourcen und die bioakkumulativen reichern sich in den Nahrungsketten an. Das ist nicht nur ein Problem für die Lebewesen in den Cenoten. Auch die Gesundheit der Einwohner der Halbinsel kann gefährdet werden. Vor allem, wenn sie in ländlich geprägten Gebieten ihr Wasser direkt aus den kontaminierten Cenoten beziehen [Lopez-Maldonado & Berkes (2017), Polanco Rodríguez et al. 2015)].
[…] prior to the mid-1990s, they could drink water directly from the [...] wells [..], but presently they did not because they could become sick.
Ein aktueller Vergleich über den Zustand der Bundesstaaten Mexikos fasst die Umweltprobleme auf der Halbinsel eindrücklich zusammen. In der Kategorie nachhaltiges Umweltmanagement belegt Quintana Roo den letzten und Yucatán den drittletzten Platz von ganz Mexiko und zeigt damit, dass ein anderer Umgang mit den natürlichen Ressourcen in diesen Staaten wünschenswert wäre [Instituto mexicano para la competitividad (2021)].
Wenn alle genannten Faktoren bisher nicht ausgereicht haben, um das Ökosystem Cenote aus dem Gleichgewicht zu bringen, gibt es noch invasive Arten. Ein Beispiel hierfür sind Tilapien, die zur Familie der Buntbarsche gehören. Sie sind Allesfresser und ihnen reichen schon geringe Eiweißmengen, um sich zu vermehren [WWF (2021)]. Diese Eigenschaften machen sie zu einem beliebten Zuchtfisch [FAO (2020)]. Einige dieser Tiere wurden wissentlich oder versehentlich in den Cenoten ausgesetzt. Gerade die Eigenschaften, die sie zu einem geeigneten Speisefisch machen, geben ihnen die Möglichkeit, sich in anderen aquatischen Ökosystemen teilweise unkontrolliert auszubreiten. In Folge davon werden heimische Arten aus ihrem Lebensraum verdrängt. Besonders schwer wiegt der Verlust, wenn Endemiten verdrängt werden, also Arten, die nur innerhalb der Cenoten vorkommen [Lopez-Maldonado & Berkes (2017)].
Nutzen ohne Zerstören. Nachhaltigkeit. Nicht nur nehmen, sondern etwas zurückgeben. Die Schönheit der Natur zu schätzen. Und die Frage, ob wir Menschen es vermeiden können, der Natur immer und überall einen Stempel unserer Existenz aufzudrücken. Gedanken, die im Zusammenhang mit Umweltproblemen auftauchen. Im Fall Cenoten wie auch in anderen Fällen. Bei allen handelt es sich um komplexe Wechselbeziehungen zwischen uns Menschen und den uns umgebenden Ökosystemen. Durch unser Eingreifen rufen wir Veränderungen hervor. Manchmal zum Positiven und manchmal zum Negativen. Es sollte möglich sein, die Waagschale weiter zum Positiven zu lenken.
Cenoten. Wunderschön und gefährdet. Zoom out. Die Halbinsel Yucatán, Mexiko, Nordamerika, alle Kontinente und Ozeane und schließlich unsere grün-blaue Erdkugel, wie sie im Weltall ihre Kreise dreht. Nun ist unser kleiner Ausflug beendet. Auf Wiedersehen.
Christiane Fröschle, Masterstudiengang Umweltschutz, September 2021.
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