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COVID-19 im Abwasser – ein Update

Von am 15.11.2021 0 Kommentare

In Ergänzung des ersten Beitrages im HFT-Wasserblog vom Frühjahr 2021 sollen hier aktuelle Ent­wick­lungen der abwasserbasierten Epidemiologie, das heißt, Abwassermonitoring als Früh­warn­system für Pandemien, betrachtet werden. Im Sommer 2021 hat sich auch der Bundestag mit dieser Thematik intensiv beschäftigt (Bundestags-Infobrief - Aktenzeichen: WD 8 - 3010 - 059/21 Abschluss: 14. Juni 2021).

Mit COVID-19 Infizierte Personen scheiden zumindest Fragmente des Coronavirus, das sind kurze Abschnitte des viralen Genoms, über ihre Fäkalien aus. Dieses Genmaterial von SARS-CoV-2 lässt sich mit modernen molekularen Methoden in Kläranlagen sicher nachweisen. Die Covid-19-Analytik aus dem Abwasser ist jetzt „Stand der Technik“, methodische Fehler scheinen durch Maßnahme der Qualitätssicherung weitgehend beherrschbar.

Wichtig ist auch: Abfallstoffe wie Tenside, Fette, Chemikalien, die im Abwasser enthalten sind, brechen die Lipidhülle des Virus, die Membran, auf und inaktivieren das Virus – es geht daher kein Infektionsgeschehen vom Abwasser aus (es wird auch von einer „Denaturierung des Virus“ gesprochen).

Das Abwassermonitoring hat weltweit größte Aufmerksamkeit, nur einige Schlagzeilen aus diesem Jahr.

Melbourne residents put on high alert for COVID-19 after wastewater discovery.

Alex Chapman,
7news.com.au, published: 15/04/2021 - Updated: Thursday, 15 April 2021

Boston area coronavirus wastewater data shows B.1.1.7 variant for three straight weeks .

Rick Sobey,
Boston Herald, published: April 14, 2021 | Updated: April 14, 2021

In Deutschland gibt es trotz verschiedentlicher Forderungen aktuell kein diesbezügliches flächen­deckendes Abwasser­monitoring. Wesentliche Gründe dafür scheinen unklare Zuständigkeiten zwischen den ministeriellen Bereichen Umwelt und Gesundheit und – wesentlicher wichtiger - unklare Konsequenzen aus den Ergebnissen – zu sein. Aber auch die Kosten der Untersuchungen müssen dann von der verantwortlichen Einheit getragen werden (200 – 500 €/PCR-Analyse, ca. 2.000 € pro Sequenzierung) – zahlt dann der Gebührenzahlen der zugehörigen Stadtentwässerung oder das zuständige Land aus dem Gesundheitsbudget? Nach Meinung des Autors ist hier das Land in der Pflicht.

Kommen wir zuerst zu den Vorteilen des Abwassermonitorings

  • Die Daten sind unabhängig von sonstigen Ergebungsstrategien
  • Das Abwasser integriert alle Ausscheider im Einzugsgebiet der Kläranlagen
  • Die COVID-Analytik ist sensitiv (1/10.000), die Zahlen sind bilanzierbar. Die Belastung mit COVID-Viren wird überlicherweise in (#Genom/ml) angegeben
  • Eine Sequenzierung ist möglich, damit können die Mutationen einfach erfasst werden
  • Es besteht ein Zusammenhang von Incidenz (7-d/14-d) zum Abwasserinhalt an COVID-Genomen
  • Es besteht ein Vorlaufder Ergebnisse des Abwassermonitorings von 4 – 10 Tagen gegenüber Änderungen an der Oberfläche. Damit ist auch die Verbreitung von Mutationen frühzeitig sichtbar.
  • Eine Hot-Spot-Identifikation im untersuchten Siedlungsgebiet ist möglich, wenn diese getrennt beprobt werden. Dabei ist auch denkbar, das anfallende Abwasser von großen Produktionsstätten im gewerblichen Bereich (selbst) zu beproben, um Informationen über die Infektionslage im eigenen Unternehmen zu erhalten. Hier ist jedoch eine öffentliche Publikation nicht zu erwarten.

"Warnsignale" im Abwasser können bis zu sieben Tage vor dem Auftreten von positiven Individualtestungen beobachtet werden.

Assoz. Prof. Dr. Herbert Oberacher und Dr. Stefan Wildt ,
in: SARS-CoV-2-Abwasser-Monitoring Tirol, Vortrag auf der DWA-Landesverbandstagung Baden-Württemberg am 19.10.2021

Die Ergebnisse der in Deutschland laufenden Untersuchungen können nur einschlägigen Fachpublikationen entnommen werden. In den USA zeigt beispielsweise das NC Department of Health and Human Services in North Carolina die aktuelle Entwicklung im Abwasser wie an der Oberfläche in einem Online-Dashboard. Kann man machen – oder auch nicht.

Das österreichische Bundesland Tirol überwacht seit November 2020 in der Summe 43 Kläranlagen mit einer Ausbaugröße > 5.000 E und deckt damit rund 92 % der angeschlossenen Einwohner ab. Die Ergebnisse werden aber nur staatlichen Stellen zur Verfügung gestellt, um diese im gesamten Kontext der bekannten Informationen sachgerecht interpretieren zu können.

Ein globales Dashboard für das Abwassermonitoring von SARS-CoV-2 ist mittlerweile auch verfügbar. Nach mehr als einem Jahr der Datenverfolgung hat das Dashboard die Abwasserüberwachung auf SARS-CoV-2 in mehr als 57 Ländern, 2691 Standorten und 263 Universitäten/Institutionen dokumentiert. Eine kleine Teilmenge (92) derjenigen, die auf SARS-CoV-2 im Abwasser überwachen, stellen ihre Daten öffentlich zur Verfügung, aber weniger als 20 bieten Daten zum Herunterladen an. Die Gruppierung W-SPHERE ermutigt Forscher, ihre eigenen Daten über die Wastewater-SARS-Public-Health-Environmental-REsponse-Website zur Verfügung zu stellen. Dies soll es den Forschern ermöglichen, ihren eigenen Bereich für die Visualisierung und Analyse ihrer einzigartigen Datensätze zu schaffen und gleichzeitig einen Mehrwert für das globale Wissen über die SARS-CoV-2-Überwachung im Abwasser zu schaffen.

Den Zusammenhang zwischen Genkopien im Abwasser und der Anzahl positiv getesteter Personen im Einzugsgebiet zeigt eindrucksvoll das nachfolgende Bild am Beispiel der Stadt Karlsruhe.

Identifying the emergence of VoCs (Variants of Concern) and tracking their presence spatially and over time provides vital information to governing and medical authorities.

Und damit kommen wir zu den Problemen der Abwasseruntersuchungen bezüglich COVID-19

  • Es scheint keinen linearen Zusammenhang zwischen den Genkopien und der Anzahl der Ausscheider zu bestehen. Wir wissen sehr wenig über die ausgeschiedene Virenmenge in Verbindung mit dem Krankheitsverlauf. Wann beginnt – und wann endet die Ausscheidung ? Ist die Ausscheidung der COVID-Viren abhängig von der Schwere der Krankheit ? Besteht ein unterschiedliches Ausscheideverhalten unterschiedlicher Menschen – bspw. altersabhängig ?
  • Die Messergebnisse werden in Anzahl Gemom/ml Abwasser als Konzentrationswert angegeben. Die Abwassermenge schwankt jedoch in Abhängigkeit des Kanalsystems bei Trockenwetterbedingungen durch das Nutzerverhalten, Industrieeinflüssen und natürlich den Regenwasserabflüssen in Mischsystemen. Die Lösung besteht in einer Normierung auf eine zu wählende Bezugsgröße. In Frage kommen typische Abwasserparameter (CSB mit 120 g/(E*d) oder den Gesamtstickstoff mit 11 g/(E*d)) – aber Industrieeinflüsse können die Werte schnell verfälschen. Besser geeignet erscheinen Anthropogenmarker (Cotinin, Koffein,…) oder humane Fäkalmarker (wie der PMMoV – pepper milol mottle virus), um auf die echte Fäkalfracht und damit die  realen Einwohner zu schließen. Damit ist jedoch wieder ein zusätzlicher Analyseaufwand verbunden, Unsicherheiten bleiben zudem. Trotzdem wird sich dieser Weg durchsetzen, um einen sachgerechten Einwohnerbezug und damit bessere Kennwerte herzustellen.
  • Der Einfluss von lange Fließzeiten im Kanal scheint einen Einfluss auf die Messergebnisse zu besitzen – aber nichts Genaues ist dazu bekannt.

Die wahre Problematik liegt jetzt – fernab des Abwassers und der darin enthaltenen Stoffe – in den Fragestellungen - was kann aus dem Messergebnisse kurzfristig abgeleitet werden – welche Handlungen zur Bekämpfung des Pandemiegeschehens sind sinnvoll und angemessen?  Wichtig ist dann, schnell und konsequent zu handeln. Das sind jedoch keine (wasser-)technischen Fragestellungen, sondern klassische Themen des Pandemiemanagements – das Abwassermonitoring kann damit einen sehr interessanten und wichtigen Beitrag leisten.

In Deutschland hat dieses Prognosesystem weder auf Bundes- noch auf Landesebene in der Fläche bisher kein weiteres Interesse gefunden und sich daher nur sehr lokal begrenzt durchgesetzt – wahrscheinlich ein Fehler. Die Stadt Karlsruhe ist jedenfalls den Zahlen des RKI etliche Tage voraus…

Karlsruhe erwartet "dramatisch steigende" Corona-Zahlen

Literatur

Kreuzinger. N. (2021): „SARS-CoV-2 im Abwasser als Gradmesser der Infektionsverbreitung“. Vortrag auf der Aqua Urbanica am 13.09.2021 in Innsbruck.

Oberacher, H. und S. Wildt (2021): „SARS-CoV-2-Abwasser-Monitoring Tirol“, veröffentlicht auf der DWA-Landesverbandstagung Baden-Württemberg am 20.10.2021

Rauch. W., Arabzadeh, R., Grünbacher, D., Insam, H., Markt, R., Scheffknecht, C. und N. Kreuzinger (2021): „Datenbehandlung in der SARS-CoV-2-Abwasserepidemiologie“. KA Korrespondenz Abwasser, Abfall 2021 (68) · Nr. 7. S. 547 – 554.

Thiem, A. et al. (2021): „Abwasserbasierte Epidemiologie für SARS-CoV-2: Methodik und Fallbeispiel Karlsruhe“, veröffentlicht auf der DWA-Landesverbandstagung Baden-Württemberg am 20.10.2021

A global repository for SARS-CoV-2 wastewater data (2021) (https://www.thesourcemagazine.org/a-global-repository-for-sars-cov-2-wastewater-data/)

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