In Ergänzung des ersten Beitrages im HFT-Wasserblog vom Frühjahr 2021 sollen hier aktuelle Entwicklungen der abwasserbasierten Epidemiologie, das heißt, Abwassermonitoring als Frühwarnsystem für Pandemien, betrachtet werden. Im Sommer 2021 hat sich auch der Bundestag mit dieser Thematik intensiv beschäftigt (Bundestags-Infobrief - Aktenzeichen: WD 8 - 3010 - 059/21 Abschluss: 14. Juni 2021).
Mit COVID-19 Infizierte Personen scheiden zumindest Fragmente des Coronavirus, das sind kurze Abschnitte des viralen Genoms, über ihre Fäkalien aus. Dieses Genmaterial von SARS-CoV-2 lässt sich mit modernen molekularen Methoden in Kläranlagen sicher nachweisen. Die Covid-19-Analytik aus dem Abwasser ist jetzt „Stand der Technik“, methodische Fehler scheinen durch Maßnahme der Qualitätssicherung weitgehend beherrschbar.
Wichtig ist auch: Abfallstoffe wie Tenside, Fette, Chemikalien, die im Abwasser enthalten sind, brechen die Lipidhülle des Virus, die Membran, auf und inaktivieren das Virus – es geht daher kein Infektionsgeschehen vom Abwasser aus (es wird auch von einer „Denaturierung des Virus“ gesprochen).
Das Abwassermonitoring hat weltweit größte Aufmerksamkeit, nur einige Schlagzeilen aus diesem Jahr.
Melbourne residents put on high alert for COVID-19 after wastewater discovery.
Boston area coronavirus wastewater data shows B.1.1.7 variant for three straight weeks .
In Deutschland gibt es trotz verschiedentlicher Forderungen aktuell kein diesbezügliches flächendeckendes Abwassermonitoring. Wesentliche Gründe dafür scheinen unklare Zuständigkeiten zwischen den ministeriellen Bereichen Umwelt und Gesundheit und – wesentlicher wichtiger - unklare Konsequenzen aus den Ergebnissen – zu sein. Aber auch die Kosten der Untersuchungen müssen dann von der verantwortlichen Einheit getragen werden (200 – 500 €/PCR-Analyse, ca. 2.000 € pro Sequenzierung) – zahlt dann der Gebührenzahlen der zugehörigen Stadtentwässerung oder das zuständige Land aus dem Gesundheitsbudget? Nach Meinung des Autors ist hier das Land in der Pflicht.
"Warnsignale" im Abwasser können bis zu sieben Tage vor dem Auftreten von positiven Individualtestungen beobachtet werden.
Die Ergebnisse der in Deutschland laufenden Untersuchungen können nur einschlägigen Fachpublikationen entnommen werden. In den USA zeigt beispielsweise das NC Department of Health and Human Services in North Carolina die aktuelle Entwicklung im Abwasser wie an der Oberfläche in einem Online-Dashboard. Kann man machen – oder auch nicht.
Das österreichische Bundesland Tirol überwacht seit November 2020 in der Summe 43 Kläranlagen mit einer Ausbaugröße > 5.000 E und deckt damit rund 92 % der angeschlossenen Einwohner ab. Die Ergebnisse werden aber nur staatlichen Stellen zur Verfügung gestellt, um diese im gesamten Kontext der bekannten Informationen sachgerecht interpretieren zu können.
Ein globales Dashboard für das Abwassermonitoring von SARS-CoV-2 ist mittlerweile auch verfügbar. Nach mehr als einem Jahr der Datenverfolgung hat das Dashboard die Abwasserüberwachung auf SARS-CoV-2 in mehr als 57 Ländern, 2691 Standorten und 263 Universitäten/Institutionen dokumentiert. Eine kleine Teilmenge (92) derjenigen, die auf SARS-CoV-2 im Abwasser überwachen, stellen ihre Daten öffentlich zur Verfügung, aber weniger als 20 bieten Daten zum Herunterladen an. Die Gruppierung W-SPHERE ermutigt Forscher, ihre eigenen Daten über die Wastewater-SARS-Public-Health-Environmental-REsponse-Website zur Verfügung zu stellen. Dies soll es den Forschern ermöglichen, ihren eigenen Bereich für die Visualisierung und Analyse ihrer einzigartigen Datensätze zu schaffen und gleichzeitig einen Mehrwert für das globale Wissen über die SARS-CoV-2-Überwachung im Abwasser zu schaffen.
Den Zusammenhang zwischen Genkopien im Abwasser und der Anzahl positiv getesteter Personen im Einzugsgebiet zeigt eindrucksvoll das nachfolgende Bild am Beispiel der Stadt Karlsruhe.
Identifying the emergence of VoCs (Variants of Concern) and tracking their presence spatially and over time provides vital information to governing and medical authorities.
Die wahre Problematik liegt jetzt – fernab des Abwassers und der darin enthaltenen Stoffe – in den Fragestellungen - was kann aus dem Messergebnisse kurzfristig abgeleitet werden – welche Handlungen zur Bekämpfung des Pandemiegeschehens sind sinnvoll und angemessen? Wichtig ist dann, schnell und konsequent zu handeln. Das sind jedoch keine (wasser-)technischen Fragestellungen, sondern klassische Themen des Pandemiemanagements – das Abwassermonitoring kann damit einen sehr interessanten und wichtigen Beitrag leisten.
In Deutschland hat dieses Prognosesystem weder auf Bundes- noch auf Landesebene in der Fläche bisher kein weiteres Interesse gefunden und sich daher nur sehr lokal begrenzt durchgesetzt – wahrscheinlich ein Fehler. Die Stadt Karlsruhe ist jedenfalls den Zahlen des RKI etliche Tage voraus…
Karlsruhe erwartet "dramatisch steigende" Corona-Zahlen
Kreuzinger. N. (2021): „SARS-CoV-2 im Abwasser als Gradmesser der Infektionsverbreitung“. Vortrag auf der Aqua Urbanica am 13.09.2021 in Innsbruck.
Oberacher, H. und S. Wildt (2021): „SARS-CoV-2-Abwasser-Monitoring Tirol“, veröffentlicht auf der DWA-Landesverbandstagung Baden-Württemberg am 20.10.2021
Rauch. W., Arabzadeh, R., Grünbacher, D., Insam, H., Markt, R., Scheffknecht, C. und N. Kreuzinger (2021): „Datenbehandlung in der SARS-CoV-2-Abwasserepidemiologie“. KA Korrespondenz Abwasser, Abfall 2021 (68) · Nr. 7. S. 547 – 554.
Thiem, A. et al. (2021): „Abwasserbasierte Epidemiologie für SARS-CoV-2: Methodik und Fallbeispiel Karlsruhe“, veröffentlicht auf der DWA-Landesverbandstagung Baden-Württemberg am 20.10.2021
A global repository for SARS-CoV-2 wastewater data (2021) (https://www.thesourcemagazine.org/a-global-repository-for-sars-cov-2-wastewater-data/)
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